Gute Erhebungsmethoden sind nur die halbe Miete

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Wenn Marktforscher von „Methoden“ sprechen, meinen sie in den überwie­genden Fällen „Erhebungsmethoden“: Fokusgruppen, CATI, Tiefeninterviews, standar­di­sierte Befragung, Online-Befragung, Leitfaden-Interviews, Soziographie und vieles mehr. Vielfach gliedern sich die Dienstleister darüber hinaus in quanti­ta­tive und quali­ta­tive Forscher. Der folgende Beitrag beschäf­tigt sich ein wenig tiefer mit den verschie­denen Methoden und rückt darüber hinaus die Bedeutung der Analyse der Daten stärker ins Blickfeld.

Es kommt vor allem auf die Analyse an

So richtig es ist, sich Gedanken über die Erhebungsmethode zu machen, ist es zunächst einmal viel wichtiger, den Erkenntnisfokus zu schärfen. In der kunden­be­zo­genen Marktforschung ist es uns in der Regel nicht so wichtig, welche Meinung der Kunde über unser Produkt hat.

Viel wichtiger ist es uns, wie er sich verhält:

  • Kauft er schließ­lich oder nicht?
  • In welcher Menge und zu welchem Preis?
  • Empfiehlt er das Produkt weiter?
  • Spricht er überhaupt darüber?
  • Wie spricht er darüber?

All diese Fragen sind verhal­tensbezogene Fragen, die wir mit unter­schied­li­chen Methoden messen können.

Erst im zweiten Schritt fragen wir uns, warum er sich so verhält.

An dieser Stelle neigen viele Unternehmen – viel zu früh – dazu, den Kunden zu fragen. Kunden zu befragen, bedeutet jedoch in der Regel, Meinungen einzu­holen. Meinungen können wichtig sein – nicht umsonst gibt es die Riege der „Meinungsforscher“ -, eine Meinung hat aber nicht immer etwas mit Verhalten zu tun.

Zwischen Meinung und Verhalten können Lichtjahre liegen.

Messen ist besser als befragen

​Marktforscher sind in aller erster Linie darüm bemüht, Daten zu bekommen, die das tatsäch­liche Verhalten von Kunden messen, ohne sie in den Test invol­vieren zu müssen – hier unter Ökoskopie einge­ordnet. In diese Kategorie fallen z.B. alle Daten, die uns Google-Analytics zur Verfügung stellt und davon abgeleitet sogenannte Split- oder A/B‑Tests, bei denen verschie­dene Varianten den Kunden bzw. Usern zur Verfügung gestellt werden und dann schlicht gezählt wird, welche Variante mehr Zuspruch findet. Das beson­dere hierbei: Es handelt sich eigent­lich nicht mehr um klassi­sche Experimentierumgebungen, sondern es wird live reales und ungefärbtes Kundeverhalten gemessen. Etwas besseres kann sich der Marktforscher gar nicht wünschen, ist aber nur dort möglich, wo Varianten einfach erstellt und wieder verworfen werden können und wo sich sehr schnell Eregebnisse ablesen lassen – hier also vor allem bei Online-Services.

In der Entwicklung anfass­barer Produkte ist es etwas kompli­zierter und aufwän­diger. Besonders die großen Unternehmens leisten sich hier sehr ausge­feilte Testdesigns, die aber ebenfalls zum Ziel haben, Präferenzen zu messen und nicht abzufragen. In diese Kategoerie fallen beispiels­weise die sogenannten „Car Clinics“ und im Dienstleistungsbereich Testmärkte, also Supermärkte, in denen man tatsäch­lich einkaufen kann, aber dabei sehr intensiv beobachtet wird. Diese Kategorie ist der Grafik als „Experiment“ bezeichnet, da alle steuer­baren Einflussparameter solange kontrol­liert orches­triert werden können, bis ein optimales Ergebnis vorliegt.

Diese beiden Varianten sind quanti­ta­tive Methodenansätze, weil über eine möglichst große Zahl und statis­ti­sche Auswertungsmethoden Erkenntnisse gewonnen werden. Überhaupt ist die übliche, etwas verwir­rende Unterscheidung zwischen „quanti­tativ“ und „quali­tativ“ ledig­lich die der zugrunde liegenden Fallzahlen: je weniger, desto quali­ta­tiver – was natür­lich Unsinn ist. Auch quanti­ta­tive, d.h. mit hohen Fallzahlen operie­rende Untersuchungsdesign liefern „quali­ta­tive“ Ergebnisse (was aller­dings nichts über die Brauchbarkeit aussagt). „Qualitativ“ ist im allge­meinen Sinne eher mit „intensiv“ oder „katego­rial“ gleich­ge­setzt. Wenige Fälle können eben sehr viel genauer, inten­siver und hinsicht­lich ihrer katego­rialen Einordnung unter­sucht werden. Analog zu einem Biologen, der auf einer unendeckten Insel eine neue Pflanzenart zunächst anhand weniger Exemplare sehr genau unter­sucht, analy­siert der Sozialforscher Phänome zunächst anhand einiger weniger Fälle, bevor er mit statis­ti­schen Methoden Häufigkeiten und Verteilungen bestimmt.

Beobachten statt Befragen

Es gibt nur wenige „quali­ta­tive“ Methoden, die Verhalten zu erfor­schen versu­chen. Eine davon ist die Ethnographie. Früher hätte man hierzu wahrschein­lich „teilneh­mende Beobachtung“ gesagt – aber neue techni­sche Möglichkeiten schaffen eben auch verän­derte Begriffe. Die ursprüng­lich aus der Ethnologie stammende Methode wird mittler­weile verstärkt auch in der heimi­schen Marktforschung einge­setzt, was auf einen erwei­terten Kulturbegriff im Sinne von „Subkultur“ oder auf das unbestimmt „Fremde“, was uns zum Zeitpunkt der Erforschung noch unbekannt ist, verweist. Wie auch immer, entschei­dend bei der Methode ist, dass Kunden in ihrer Alltagsumgebung – sei es am Arbeitsplatz, in ihrem Auto oder zu Hause – beim Umgang mit dem zu unter­su­chenden Gegenstand zu beobachten, mit ihnen zu sprechen und diese Interaktion auf Video aufzu­zeichnen, um es einer genauern Analyse zugäng­lich zu machen.

Bei der teilneh­menden Beobachtung bzw. Ethnograhie entsteht ein nicht unerheb­li­ches Problem: Das Wissen des Probanden um die Beobachtung und die unver­meid­bare Interaktion mit dem Beobachter. Jeder, der wissent­lich schon einmal beobachtet wurde, weiß wie sich das anfühlt. Jeder, der das Gefühl hat, beobachtet zu werden, verhält sich anders als wenn er alleine wäre. Das ist eine Art Naturgesetz. Wie also kommt man an das unver­fälschte, natür­liche – wenn man so will – authen­ti­sche Verhalten des Kunden? Die Antwort: Gar nicht. So enttäu­schend diese Aussage vielleicht sein mag, so hoffnungs­voll soll die Nächste stimmen: Wir brauchen dieses unver­fälschte und natür­liche Verhalten überhaupt nicht. Denn erstens: Menschen können sich nur bis zu einem gewissen Grade und nur über einen vergleichs­weise kurzen Zeitraum verstellen. Und zweitens: Die Art und Weise wie wir uns verstellen ist selbst aufschluss­reich genug.

Marktforschung hat zwei Komponenten: Erhebungsmethode und Auswertungsmethode. Bei quanti­tativ angelegten Forschungsdesigns ist die Frage der Analyse in die Erhebung integriert: Eine quanti­ta­tive Studie hat immer Zahlen und Statistiken als Ergebnis. Darauf ist das Studiendesign ausge­legt: Eine große Menge von Kunden standan­di­siert, also nach einem einheit­li­chen Vorgehen zu befragen. Dieses Vorgehen sagt freilich nichts über die Korrektheit der Ergebnisse. An dieser Stelle soll der sehr aufschluss­reiche Verweis auf die „Probleme in der Meinungsforschung“ im Wikipedia-Beitrag zur Meinungsforschung genügen. Eine weitere Frage, die sich aus der quanti­ta­tiven Erhebung ergibt, ist die nach der Interpretation der Ergebnisse. Aber auch diese soll hier nicht weiter vertieft werden.

Die Auswertung qualitativ erhobener Daten ist für die meisten Forscher ein ungelöstes Problem

Bei den quali­ta­tiven Erhebungsmethoden ist die Frage der Datenauswertung für die meisten Forscher ein ungelöstes Problem. Da durch quali­ta­tive Methoden in der Regel schon bei wenigen Probanden Berge von Daten in Form von seiten­langen Interviewtranskripten oder stunden­langen Ton- oder Videomitschnitten entstehen, ist die Frage nach der effizi­en­testen und dabei zugleich aufschluss­reichsten Analysemethode virulent. Schon daran sieht man, dass eine Erhebungsmethode alleine keinen wirkli­chen Nutzen hat. Viele Forscher lösen das Problem, in dem sie über die „quali­tativ“ erhobenen Daten wiederum statis­ti­sche Verfahren der Auswertung legen. Interviewtexte werden beispiels­weise nach bestimmten Schlüsselbegriffen durch­sucht und schlicht gezählt. Es gibt mittler­weile eine Reihe von Computerprogrammen, die große Textmengen „seman­tisch“ analy­sieren. Heraus kommen dabei Aussagen über sehr rudimen­täre Bedeutungsstrukturen des Textes, die aller­dings nichts mit einer herme­neu­ti­schen Bedeutungsanalyse zu tun haben. All diese Versuche, den Textmengen Herr zu werden, führen den Aufwand der Erhebung ad absurdum, weil sie die Qualität der Erhebung durch unzurei­chende Analysewerkzeuge zunichte machen. Demgegenüber ist jedes stand­a­di­sierte Vorgehen besser und vermut­lich auch billiger.

Nun ist es nicht so, dass es keine geeig­neten Verfahren der Bedeutungsanalyse gäbe. Eines davon ist die objek­tive Hermeneutik. Die objek­tive Hermeneutik ist eine Methode zur Rekonstruktion objek­tiver Bedeutungsstrukturen in Texten. „Texte“ sind dabei festge­hal­tene, d.h. proto­kol­lierte soziale Interaktionen. Genau so muss man eine Erhebung im Rahmen einer Marktfoschung verstehen: als eine in sich erklär­bare soziale Interaktion. Sobald man die Einflüsse durch die Erhebung auf die Realiät nicht mehr als störend wahrnimmt, sondern als Teil einer Interaktion, werden die „Störungen“ erklärbar und lassen Blick auf die tatsä­sch­liche Realität zu. Es würde an dieser Stelle viel zu weit führen, die objek­tive Hermeneutik zu erläu­tern. Wichtig ist die ledig­lich die umso weitrei­chen­dere Erkenntnis, durch ein geeig­nets Analyseverfahren, Einflüsse bei der Erhebung erklärbar zu machen. Die dadurch entste­hende Rückkopplungseffekte auf die Erhebung ergeben ein rundes, weil komplettes quali­ta­tives Forschungsdesign.

Ziel der Erhebung ist es, die für die gewählte Analysemethode bestmög­li­chen Daten zu liefern. Sie ist ist somit nur die eine Seite einer Medaille, die zusammen mit der Auswertungsmethode ein Ganzes ergibt.

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