Stakeholder Management und Projektkommunikation im Energieanlagenbau. Ein Gespräch.

Mein heutiger Gesprächspartner ist Thilo NIewöhner. Ich bin Thilo vor einigen Jahren auf einem PMCamp begegnet und ihm seit dem immer mal wieder über den Weg gelaufen. Als Ingenieur mit einer umfang­rei­chen Historie im Energieanlagenbau stellt er den klassi­schen techni­schen Projektleiter dar. Grund genug, Thilo um ein Gespräch zu bitten.

Thilo Niewöhner (37) ist Ingenieur der Elektrischen Energietechnik und zerti­fi­zierter Projektmanager. Sein beruf­li­cher Weg führte ihn bislang von Flughafenbau über Öl & Gas zur Energieversorgung. In seiner aktuellen Position unter­stützt er Betreiber und Anlagenbauer bei der erfolg­rei­chen Umsetzung von Infrastrukturprojekten. Thilo ist konse­quent auf Projektmanagement in all seinen Facetten fokus­siert und setzt sich leiden­schaft­lich mit Methoden und Modellen im Projektmanagement auseinander. 

Alexander: Du kommst aus dem Anlagenbau. Für viele Deiner Kollegen hat Projektkommunikation mehr was mit Pädagogik zu tun, als mit handfester Projektarbeit. Du siehst das offen­sicht­lich anders…

Thilo: Ich war lange als Teilprojektleiter und Projektleiter unter­wegs, in Branchen wie Energieversorgung und Chemie. Da wird alles, was mit Kommunikation zu tun hat, gerne mal unter “Soft Skills” aus dem Weg gebucht. Meine eigene Erfahrung zeigt aber, dass Kommunikation im und über das Projekt oft viel mehr bewirken kann als alle techni­schen Aspekte.

Alexander: Das klingt jetzt aber schon ziemlich nach Pädagogik: Wir müssen nur lange genug drüber reden, dann wird das schon…

Thilo: Pädagogik ist ja nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil. Im Projekt geht es aber nicht um Stuhlkreise und Namen tanzen – das ist ja der übliche Eindruck bei den Altgedienten -, sondern um den sinnvollen Austausch von Informationen. Das bedeutet, z.B. im Rahmen von Startveranstaltungen die Beteiligten kennen­zu­lernen und sich auf das Miteinander zu verstän­digen. Also festzu­legen, wie, wann und mit wem Informationen ausge­tauscht werden. Und natür­lich zu verein­baren, wer welche Informationen braucht. Kommunikationspläne im Sinne des PM sind dann das Ergebnis dieses Prozesses und quasi ein erster Kommunikationsvertrag.

Ingenieure haben durchaus eine Tendenz zu Kausalitätsbeziehungen

Alexander: Kannst Du das mal an einem Beispiel darstellen?

Thilo: Der Kommunikationsplan ist erstmal nur eine tabel­la­ri­sche Auflistung aller denkbaren (bzw. nicht verges­senen) Informationskategorien und deren Adressaten. Da steht dann zum Beispiel drin, dass Schreiben zu Vertragsthemen ausschließ­lich an den Kunden-PL und den Projektkaufmann gehen, Kabellisten und Zeichnungen aber an den Teilprojektleiter. Berichte usw. gehen zusätz­lich in Kopie an den Geschäftsführer oder Bereichsleiter. Das ist das Ergebnis, wie es in der Projektdokumentation landet.

Alexander: Da gehen bei mir gerade jede Menge Lichter an. Mir kommt es gerade so vor, als ob Ihr Ingenieure Kommunikation tatsäch­lich als den puren Austausch von Informationen versteht. Die Beziehungsebene ist dabei praktisch völlig ausge­blendet und auch die indivi­du­elle Gefühlsebene. Wer erhält welche Information wann? Das klingt in meinen Ohren ein bisschen danach, als ob sich Roboter verstän­digen. Ich überzeichne bewusst. Ich hätte nicht gedacht, dass es sowas tatsäch­lich gibt. Funktioniert das?

Thilo: Ingenieure haben durchaus eine Tendenz zu Kausalitätsbeziehungen und zu einer mecha­nis­ti­schen Sicht. Das ist zum einen Teil im Charakter begründet, zum Teil in unserer Ausbildung. Bei rein techni­scher Kommunikation könnte das durchaus klappen, wenn sich zwei Menschen verstän­digen, die vergleich­bares Wissen und einen ähnli­chen Hintergrund haben. Die rein prozes­suale Sicht, wie sie die ISO 9000 oder andere Standards uns vorsetzen, setzt unaus­ge­spro­chen voraus, dass sich die Kommunikationspartner verstehen. Wie Du sagst, blendet diese Sicht die Beziehungsebene komplett aus, weil sie sich eben nicht in Prozesse fassen lässt. Menschen haben nun mal verschie­dene Lebensgeschichten und Erfahrungen. In der Praxis schei­tert Kommunikation oft genau daran. Erst durch die Zusammenarbeit und den persön­li­chen Umgang mitein­ander finden wir heraus, wo die gemein­same Basis ist und wo sich Unterschiede identi­fi­zieren lassen. Im schlimmsten Fall führt das statt zu sinnvoller Kommunikation zu Blockaden oder Eskalation.

Stakeholdermanagement: Ein kniffliges Thema

Alexander: Es ist also doch so: Erst wenn man sein Gegenüber ein bisschen kennt und ungefähr weiß, wie er tickt, kann man in den rein sachli­chen Informationsaustausch treten…

Thilo: Ich würde eher sagen: Wenn man sein Gegenüber kennt und ein wenig versteht, kann man in einen produk­tiven Informationsaustausch eintreten. Produktiv, weil hier deutlich weniger Missverständnisse produ­ziert werden, und ich in dem, was ich sage, auf Ziele, Werte und innere Filter meines Gegenübers Rücksicht nehmen kann.

Alexander: Stichwort Stakeholder – da ist das mit dem „produk­tiven Informationsaustausch“ deutlich schwie­riger, vor allem wenn man an so manche politisch motivierte oder sehr ideolo­gisch argumen­tie­renden Interessengruppen denkt. Gerade bei großen Infrastruktur- oder Kraftwerksprojekten ist das ja immer ein Thema. Wie ist da Deine Erfahrung?

Thilo: Oh, das ist ein kniff­liges Thema. Den Umgang mit externen Stakeholdern, etwa Anliegern oder Bürgerinitiativen bekomme ich in der Regel nicht direkt mit. In meinen Projekten ist der Kontakt sehr unter­schied­lich geführt worden. Bei einem Projekt gab es sehr regel­mäßig und häufig Informationsabende, bei denen die Anwohner ihre Sorgen und Fragen formu­lieren konnten, und der Betreiber diese dann ausführ­lich behan­delt hat. Außerdem gab es Besuchstage, um den Fortschritt zu zeigen oder immer wieder zu erklären, wie z.B. die Anlage mit dem Werk zusam­men­hängt und welche Wirkungen das Ganze auf die lokale Umwelt, Wirtschaft und den Arbeitsmarkt hat. Bei einem anderen Projekt hat man das eher spora­disch gemacht, und sich ansonsten auf die Pflichtveranstaltungen aus Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren verlassen. Das führte dann zu recht heftigen Protestaktionen der Bürgerinitiativen. Für die Mitarbeiter kam es manchmal zu schwie­rigen Situationen, weil sie sich buchstäb­lich durch Demonstranten zur Baustelle durch­kämpfen mussten.

Mit ordentlich aufbereiteter Kommunikation läuft das Projekt stressärmer ab

Alexander: Du würdest also sagen, dass ein offen­siver, aber respekt­voller Umgang mit Bürgerinteressen den eigent­li­chen Projektverlauf unter­stützt und verbes­sert – sich also das Pumpspeicherkraftwerk schneller bauen lässt?

Thilo: Die techni­sche Umsetzung an sich wird es nicht beschleu­nigen. Große Infrastrukturprojekte sind kompli­ziert und müssen strengen gesetz­li­chen Regularien entspre­chen. Vorbereitung und Prüfung brauchen Zeit. Das Projekt als solches läuft für die Projektbeteiligten mit ordent­lich aufbe­rei­teter Projektkommunikation in der Regel stress­ärmer ab, weil man sich weniger reibt und eher gemein­same Ziele verfolgt. Nach außen hin ist es durchaus wahrschein­lich, dass durch gutes Projektmarketing Genehmigungsverfahren schneller ablaufen, weil Vorbehalte nicht erst bei der Offenlegung disku­tiert werden und zu Neuplanungen führen, sondern direkt in die Planung mit einfließen und nachher nur noch abgenickt werden. Öffentliche Proteste wie in manchen populären Großprojekten ließen sich durch sauber geplante Kommunikation mit öffent­li­chen Stakeholdern reduzieren, wenn nicht sogar vermeiden.

Alexander: Wie groß ist die Verantwortung des Projektleiters in diesem Fall?

Der Projektleiter steht im Tor, hat aber nur wenig Freiheit

Thilo: Das hängt unmit­telbar von der dem Projektleiter übertra­genen Verantwortung und Entscheidungskompetenz ab. In vielen Organisationen steht der Projektleiter zwar im Tor, hat aber nur wenig Freiheit, echte Entscheidungen zu treffen: Ihm fehlt die Vollmacht des ausfüh­renden Unternehmens. Auf jeden Fall gehört es aber in die Verantwortung des Projektleiters, bei der Projektplanung auch die Projektkommunikation zu bewerten. Einerseits im Projektteam und zu Stakeholdern im Unternehmen und beim Kunden, wie es die bekannten Standards definieren. Aber eben auch zu Stakeholdern, die nicht auf Organigrammen auftau­chen: Anwohner, Bürgerinitiativen, vielleicht Umweltverbände und Gemeinden. Stellt sich heraus, dass diese Gruppen vom Nutzen oder Schaden des Projektes betroffen sind und das Projekt beein­flussen können, wird der erfah­rene Projektleiter immer für eine maßvolle Einbindung der Stakeholder werben, um das Projekt nicht zu gefährden.

Alexander: Lass uns kurz bei diesem Beispiel bleiben. Der Betreiber hat ein hohes Interesse an einer störungs­freien Umsetzung seines Projekts. Jetzt bauen kommu­nale Betreiber ja nicht jedes Jahr ein neues Kraftwerk. Können die überhaupt Stakeholdermanagement?

Thilo: Das hängt vom Einzelfall ab. Chemieunternehmen sind da sicher anders aufge­stellt als Stadtwerke. Kommunale Betreiber sind gut beraten, sich früh im Projekt Unterstützung zu holen. Ein guter Berater, früh genug aktiviert, kann recht­zeitig Stolpersteine erkennen und einen Weg aufzeigen, damit umzugehen.

Alexander: Was sind aus Deiner Erfahrung die wirkungs­vollsten Mittel für ein erfolg­rei­ches Stakeholdermanagement?

Thilo: Das ist ein mehrstu­figer und zykli­scher Prozess, der das ganze Projekt dauer­haft begleitet. Meist beginnt es mit der Identifikation aller relevanten Stakeholder, die dann nach Einfluss (groß/mittel/klein) auf und Einstellung zum Projekt (Promoter/Detractor) beurteilt werden. Visualisiert wird das dann zum Beispiel über eine Player Map oder eine Projektumfeldanalyse*, auf der man bestehende oder benötigte Beziehungen erkennt und Handlungsoptionen dokumen­tieren kann. Wichtig ist hier, keinen der Stakeholder zu vernach­läs­sigen. Auch im eigenen Hause drohen mitunter Überraschungen. Die aus der Visualisierung ermit­telten Handlungsoptionen werden dann vom Projektteam, ggf. unter­stützt durch den Lenkungsausschuss, geplant und durchgeführt.

Alexander: Ich danke Dir für das aufschluss­reiche Gespräch

*) Hinweis: In Schritt 2 des Projekt-Inszenators kommt die Projektumfeldanalyse als Instrument der Zielgruppenbestimmung zur Anwendung.

 

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