Plädoyer für ein zielgruppenorientiertes Wissensmanagement im Unternehmen

» Dieser Artikel ist erschienen im Bändchen “Wissenstransfer – push or pull” in der HLP-Management-Diskurs-Reihe, Frankfurt, Sept. 2013 (siehe auch)

Wissenstransfer – Push or Pull? Die Antwort ist klar: Push! Wer über Wissen verfügt, muss dafür sorgen dass es verbreitet und verar­beitet wird. Nur so wird aus Erkenntnis überhaupt erst Wissen. Das gilt insbe­son­dere für den Wissenstransfer in Unternehmen. Wissen in Unternehmen ist nur dann von Nutzen, wenn es von den Mitarbeitern auch angewandt wird. Wissen muss also nicht nur zugäng­lich gemacht werden, sondern darüber hinaus muss dafür Sorge getragen werden, dass es tatsäch­lich wahrge­nommen und richtig angewandt wird. Das Schlüsselwort dabei ist zielgrup­pen­ori­en­tiertes Wissensmanagement.

Was ist Wissen?

Keine Angst, dies wird kein überflüs­siger Beitrag zur philo­so­phi­schen Debatte um Erkenntnis und Wahrheit und um die Definition des Wissensbegriffs. Merkwürdigerweise verflüs­sigt der sich immer stärker, je genauer man hinschaut. Dennoch ist es nicht ganz unver­zichtbar, einen begriff­li­chen Rahmen zu schaffen, um zu zeigen worum es am Ende geht.

Wissen unter­liegt einer Demokratisierungsverpflichtung. Erst wenn Erkenntnis an andere weiter und dadurch zur Überprüfung frei gegeben wird, kann aus Erkenntnis Wissen werden, das der Wahrheit nahe kommt.

Wissen kann wieder verschwinden. Entweder durch Katastrophen, bei denen die Datenträger des Wissens (z.B. Bücher) vernichtet werden. Oder dadurch, dass die Wissensträger nicht Willens oder in der Lage waren, ihr Wissen recht­zeitig weiter zu geben. Wenn der Meister dem Lehrling sein Wissen nicht weiter­gibt, ist irgend­wann Schluss. Beides ist gleicher­maßen drama­tisch, weil es doch einige Mühe kostet, Wissen überhaupt zu generieren.

Nach Wissen muss man suchen. Bei aller Wissenschaft können wir nie sicher sein, ob uns nicht etwas entgangen ist. Denn nur wenn man wahrnimmt, dass irgendwo neues Wissen verborgen sein könnte, kann Wissen zutage geför­dert werden. Die Forschungsergebnisse eines Pharmaunternehmens sind in der Regel gut dokumen­tiert, aber wie steht es um die Hobbies der Mitarbeiter? Lassen wir den (wichtigen) Datenschutz und die Privatsphäre einmal für einen kurzen Moment außen vor, vielleicht liegen ja gerade dort Talente verborgen, die dem Unternehmen weiter helfen können. Vielleicht liegt aber auch ein Haufen Gold oder alte Patente im Keller, die längst vergessen wurden. Der Punkt ist: Wer nicht gräbt, wird nichts finden, wer also keine Fantasie über Forschungsfragen entwi­ckelt, wird vorhan­dene Erfahrungen niemals in Wissen verwan­deln können.

Was hat das nun mit der Unternehmensführung zu tun?

Erkenntnis ohne Möglichkeit zur Überprüfung ist kein Wissen. Wissen ohne Verbreitung und Nutzbarmachung ist aber genau genommen auch noch kein Wissen, sondern ledig­lich Expertenwissen. Auch wenn sich die Scientific Community über einen bestimmten Sachverhalt einig ist, entfaltet es seinen tatsäch­li­chen Nutzen erst, wenn dieses Wissen den Alltag der Menschen erreicht hat. Das gilt auch und gerade für unter­neh­me­ri­sches Wissen. Nur wenn das vorhan­dene Wissen eines Unternehmens den Mitarbeitern zugäng­lich gemacht wird, entfaltet es seinen Nutzen. Beim Wissensmanagement im Unternehmen geht es jedoch nicht nur um die Frage, ob und vor allem wie Wissen zugäng­lich gemacht wird. Viel wichtiger ist die Frage, wie erreicht das relevante Wissen den Mitarbeiter? Wie kann sicher­ge­stellt werden, dass die Mitarbeiter über das jeweils aktuellste Wissen verfügen, es wahrnehmen und gegebe­nen­falls auch anwenden?

Es dreht sich im unter­neh­me­ri­schen Kontext also um die Frage von Relevanz, Aktualität und den Wettbewerb der Informationen unter­ein­ander, die Gunst der Wahrnehmung, Speicherung, Verarbeitung und Anwendung beim Empfänger zu bekommen. Und es dreht sich schließ­lich auch um die Fragen, ob die Wissensaneignung eine Hol- oder Bringschuld des Mitarbeiters ist, was gleicher­maßen für die Wissensaufbereitung und ‑verbrei­tung gilt. Das ist keine kleine Baustelle.

Push or Pull

Produktwissen, Vermarktungswissen und Prozesswissen sind die drei wesent­li­chen unter­neh­me­ri­schen Wissenskategorien. Je nach dem an welcher Position im Unternehmen mit welcher Aufgabe der Mitarbeiter betraut ist, prasseln unzäh­lige Informationen aus allen Kategorien über verschie­denste Systeme auf ihn ein.

E‑Mails, Intranet, Firmenzeitung, Rundschreiben, schwarze Bretter, Social Business Systeme, Schulungen, Meetings, Events – Medien und Formate gibt es reich­lich, Informationen noch viel mehr. Immer wieder, aber spätes­tens dann, wenn wichtige Informationen den Empfänger nicht oder nicht richtig erreicht haben, wird an die Eigenverantwortung, an die Verpflichtung zur Informationsbeschaffung appel­liert. Es wird dann von der Holschuld des Mitarbeiters gespro­chen. Andererseits setzen viele Unternehmen wirklich alles daran, den Mitarbeiter nachhaltig zu überfor­dern. Verschiedenste Systeme werden kreuz und quer einge­setzt, Informationen unabhängig von den Möglichkeiten der Zielgruppe mal hier mal dort verbreitet. Jeder Informationsbereitsteller empfindet seine Information natür­lich am Wichtigsten und bespielt – ob gerecht­fer­tigt oder nicht – alle Kanäle mit voller Lautstärke. Es kommt zu einem wahren Wettbewerb um die beste interne Vermarktungskampagne. Dazu kommt, dass beim internen Reporting keine einheit­li­chen Standards vorhanden sind und jeder Vorgesetzte seine eigenen Regeln aufstellt: Der Eine möchte das Reporting in Excel, der andere lieber als aufbe­rei­tete Grafiken in Powerpoint, dabei könnte auch der Chef einfach mal selbst in die internen Systeme reinschauen. Informationsfragen werden zu Machtfragen.

Den Nutzer nicht aus den Augen verlieren

Merkwürdigerweise funktio­niert in der internen Kommunikation das am wenigsten, was die erfolg­rei­chen Unternehmen in der Kundenkommunikation genau richtig machen – vom Kunden aus zu denken. Die Marketingliteratur ist voll davon: Wo treffe ich meinen Kunden? In welcher Lebenslage braucht er mein Produkt? Was ist der Nutzen des Produkts? Kurz: Der Kunde wird dort abgeholt, wo er steht. Niemand im Unternehmen würde das infrage stellen. Bei den Mitarbeitern scheint das anders zu sein.

Die Informationsaufbereitung aus Empfängersicht ist entschei­dend, um den größt­mög­li­chen Nutzen zu erzielen, nämlich dass die Information verar­beitet und angewandt wird. Die interne Kommunikation hat gegen­über der Endkundenkommunikation einen entschei­denden Vorteil: Informationen aus unter­schied­li­chen Quellen können struk­tu­riert und gegen­ein­ander priori­siert werden. Bei der Endkundenkommunikation steht das Unternehmen im perma­nenten Wettbewerb mit anderen Informationsanbietern, ohne dass es etwas dagegen tun könnte. Wenn das in der internen Kommunikation auch so ist, ist das ein hausge­machtes Problem, was dringend behoben werden sollte.

6 Spielregeln für die organisationsinterne Wissenskommunikation

Wie kann dafür Sorge getragen werden, dass das Wissen beim Empfänger ankommt? Die Einhaltung der folgenden sechs Spielregeln kann dabei helfen:

  1. Wissen wird verbreitet, um daraus den größt­mög­li­chen Nutzen für das Unternehmen zu ziehen. Der größt­mög­liche Nutzen besteht in der flächen­de­ckenden Anwendung des stets aktuellsten Wissens in der jewei­ligen Aufgabe. Der Bereitsteller des Wissens hat die Verantwortung dafür, dass die Information den Empfänger erreicht.
  2. Damit es zu keinem Informationsoverkill kommt, muss die Bereitstellung intel­li­gent struk­tu­riert und gewichtet werden. Je nach Priorität muss das jewei­lige Medium gewählt werden. Eine Prioritätenskala mit den Ausprägungen hoch, mittel, niedrig ist dafür nicht ausrei­chend. Maßgeblich für die Einstufung der Priorität ist immer die Relevanz für den Empfänger. Und die kann je nach Abteilung und Aufgabe im Unternehmen stark variieren. Jede Information muss genau den Mitarbeiter errei­chen, für dessen Aufgabe sie wichtig ist. Das heißt auch: Sie muss für die Mitarbeiter bereit­stehen, für die sie relevant sein könnte und sie hat dort nichts zu suchen wo sie entweder nicht relevant ist oder sogar missbraucht werden könnte.
  3. Das Medium für die Bereitstellung richtet sich nach den Möglichkeiten der Mitarbeiter. Zum Beispiel müssen Mitarbeiter mit unzurei­chenden Sprachkenntnissen oder Lesefähigkeiten anders unter­richtet werden als Mitarbeiter mit hoher Medienkompetenz und weitrei­chenden Zugangsmöglichkeiten zu Informationsquellen.
  4. Wissen kann nur nützlich sein, wenn es tatsäch­lich zur Verfügung steht, also von den Wissensträgern zur Verfügung gestellt wird. Privat gehal­tenes Wissen ist für das Unternehmen nutzlos. Wie kann die Verbreitung von Wissen angeregt und geför­dert werden? Das ist eine Frage, für die jede Organisation eine Antwort finden sollte, die hier aber leider den Rahmen sprengen würde.
  5. Die Informationsaufbereitung sollte simpel, einfach und leicht verständ­lich sein. Wenig nachvoll­zieh­bare Fachsprache, Abkürzungen und nichts­sa­gende Powerpoint-Folien überfor­dern jeden Leser. Die Wissensaufbereitung ist genauso ein Fachthema wie die Produktentwicklung – sie sollte von Profis gemacht werden.
  6. Wissensstände müssen stets aktuell sein, veral­tete Informationen sollten gelöscht und keines­falls weiter verbreitet werden. Diese Banalität steht im diame­tralen Widerspruch zur Realität vieler Unternehmen, in denen mit Wonne Wissen generiert und verbreitet wird, aber niemand für die Desinformationsentsorgung verant­wort­lich ist. Überprüfen Sie selbst, wie weit dieses Problem bei Ihnen reicht.

Fazit

Entscheidend für den Erfolg der Wissenskommunikation ist die Veränderung des Blickwinkels auf Seiten des Informationsbereitstellers. Nicht die Frage „Wie verbreiten wir die Information am besten?“, sondern „Für wen ist die Information in welchem Kontext wie relevant?“ verän­dert die Einordnung der Information in eine zwei- oder gar dreidi­men­sio­nale Prioritätenskala (Priorität, Zielgruppe, Zeitpunkt) von Grund auf. Dadurch erfolgt automa­tisch eine Zielgruppenorientierung, die für das Wissensmanagement im Unternehmen äußerst nützlich ist. Das Unternehmen wird als kompe­tent im Umgang mit Informationen wahrge­nommen, was zu einer Steigerung der Akzeptanz der Information selbst führt. Informationen werden besser und nachhal­tiger verar­beitet, zum Nutzen des gesamten Unternehmens.

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